Herdenschutz bei Rindern

Als Karnivor ernährt sich der Wolf überwiegend von Huftieren wie Rehen, Rothirschen und Wildschweinen. Nutztiere machen in Deutschland mit etwa zwei Prozent nur einen sehr geringen Anteil an der Nahrung von Wölfen aus (Lippitsch et al. 2024). Kommt es zu Übergriffen auf Nutztiere, werden überwiegend Schafe und Ziegen erbeutet. Jedoch sind Wölfe auch in der Lage, Rinder anzugreifen und zu töten.

Ausgewachsene Rinder sind durch ihre Körpergröße nicht so einfach zu erbeuten wie Schafe und Ziegen. Zudem ist bei einem Angriff auf Rinder das Risiko einer Verletzung für einen Wolf nicht unerheblich. Rinder gelten als vergleichsweise wehrhaft und reagieren teilweise aggressiv auf potentielle Bedrohungen. Allerdings gibt es deutliche, individuelle charakterliche und rassebedingte Unterschiede. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass sich erwachsene Rinder und Pferde jeder Rasse grundsätzlich selbst vor Übergriffen schützen können und deshalb keines Herdenschutzes bedürfen. Dennoch sind Übergriffe auf Rinder vergleichsweise selten: In den Jahren von 2018 – 2022 handelte es sich im Durchschnitt bei rund 5,5 % der erfassten wolfsverursachten Schäden an Nutztieren in Deutschland um Rinder. Hauptsächlich betroffen waren Kälber in einem Alter von unter 14 Tagen (Berichte der DBBW).

Ob und wann ein Wolf eine Rinderherde angreift, wird von vielen Faktoren beeinflusst. Erwachsene Rinder sind deutlich seltene von Übergriffen betroffen als Kälber oder Jungrinder. Deshalb sind insbesondere Jungviehherden und Herden mit Kälbern gefährdet. Das Risiko eines Angriffs durch einen Wolf steigt, wenn sich Kälber innerhalb einer nicht wolfsabweisend gezäunten Weide außerhalb des Herdenverbandes oder sogar außerhalb der Umzäunung ablegen. Der vorrangige Schutz von Kälbern in den ersten Lebenswochen wird entsprechend dort empfohlen, wo Wölfe leben.

Zudem beeinflusst die Herdenzusammensetzung das Risiko eines Wolfsübergriffes. Ein funktionierender Herdenverbund aus Tieren, die sich kennen und in den wehrhafte Alttiere integriert sind, kann einen guten Schutz darstellen. Auch individuelle körperliche und geistige Charakteristika der Rinder haben einen Einfluss, ebenso die Übersichtlichkeit der Weidefläche und die Art der Zäunung.

Um Rinder möglichst effektiv vor einem Übergriff zu schützen, kann der bereits erprobte wolfsabweisende Schutz eingesetzt werden. Dieser verhindert in den meisten Fällen das Eindringen des Wolfes in eine Herde. Er entspricht dem wolfsabweisenden Schutz bei Schafen und Ziegen.

Vor dem Hintergrund des vergleichsweise geringen Risikos von Übergriffen durch Wölfe auf Rinder stuft das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg die generelle wolfsabweisende Zäunung von Rindern jeden Alters jedoch als nicht zumutbar ein. Im Fall eines Übergriffes auf Rinder muss daher lediglich der sogenannte zumutbare Herdenschutz vorliegen, damit eine Prüfung auf Entnahme eines Wolfes durchgeführt werden kann.

Der zumutbare Herdenschutz ist ein Kompromiss aus Schutzwirkung und Umsetzbarkeit und daher keine rein fachliche Empfehlung, wie Angriffe auf Rinder mittels Herdenschutz vermieden werden können, sondern eine Einordnung, welche risikomindernden Schutzmaßnahmen Betrieben zugemutet werden können. Wird der zumutbare Herdenschutz mehrfach von einem Wolf überwunden, so prüft das Umweltministerium die Entnahme des schadstiftenden Wolfes.

Wolfsabweisende Schutzmaßnahmen werden aufgrund der erhöhten Gefährdung daher vor allem bei Herden mit Kälbern empfohlen und für Rinder bis zu einem Alter von 12 Monaten finanziell gefördert (siehe „Welche Rinder sind gefährdet?“). Bei älteren Tieren können bereits weniger aufwendige Maßnahmen das Risiko von Übergriffen reduzieren.

Welche Maßnahmen in Baden-Württemberg durch das Umweltministerium als zumutbar angesehen werden, hängt vom Alter der Rinder ab:

  • Für Kälber bis zu einem Alter von einschließlich 8 Wochen sowie Zwergrinder jeden Alters werden wolfsabweisende Maßnahmen als zumutbar definiert (Altersklasse 1).
  • Für Kälber ab einem Alter von 9 Wochen, Jungrinder und Rinder wird eine Maßnahmenkombination aus Herdengröße, einer Variante der kompakten Herdenführung sowie einer risikomindernden Maßnahme als zumutbar definiert (Altersklasse 2).

Zur Unterstützung der Betriebe in der Entwicklung grundsätzlicher, langfristiger Lösungen bietet das Land eine kostenfreie Herdenschutzberatung, die durch das Herdenschutzteam der FVA koordiniert und durch externe Beraterinnen und Berater aus der Tierhaltung oder durch die zuständigen Förderbehörden (UNB) umgesetzt wird.

Bei einem Verdachtsfall eines Übergriffes durch einen Wolf sollten die Tiere nach Möglichkeit nachts eingestallt werden. Ist eine entsprechende Unterbringung nicht umsetzbar, kann das Risiko eines erneuten Angriffs mit folgenden Maßnahmen kurzfristig reduziert werden. Betroffene Betriebe können hierfür Material in Form von "Notfallzaunsets" bei der FVA anfragen.

Bei kleinen Koppeln:

  • Aufrüsten der Koppel auf fünf Litzen (z.B. durch den Einsatz von Kunststofflitzen und mobilen Pfosten)
  • Elektronetze zur Verstärkung des bestehenden Zaunes (außerhalb des Bestandszaunes)
  • Aufstellen und regelmäßiges Umstellen von Blinklichtern, z.B. „FoxLights“ sowie Beschallung der Fläche mit Radio. Diese Maßnahme ist aufgrund eines möglichen Gewöhnungseffektes nur für den übergangsmäßigen bzw. zeitlich stark begrenzten Einsatz und nur in Notfallsituationen zu empfehlen.
  • Veränderung der Weide / Umgebung, z.B. durch Abstellen eines Fahrzeuges an ungewohnter Stelle (Wirksamkeit auf wenige Tage begrenzt)

Bei großen Koppeln:

  • Aufrüsten der Zäune mit unelektrifizierten Lappzäunen. Diese Maßnahme ist aufgrund eines möglichen Gewöhnungseffektes nur für den zeitlich begrenzten Einsatz und nur in Notfallsituationen zu empfehlen.
  • Nachtpferche/Nachtkoppeln: Nächtliche Unterbringung der Tiere auf speziell geschützten Teilflächen innerhalb weitläufiger Weideflächen (wie oben beschrieben, mittels 5 Litzen/ Netzen/ Lappzäunen o.ä.). Dies können bspw. auch zäunbare Teile einer größeren Weidefläche sein.

Stand Mai 2024:  Während im deutschlandweiten Vergleich Kälber in einem Alter unter 14 Tagen am häufigsten von Angriffen durch Wölfe betroffen sind, weichen die Daten der bestätigten Übergriffe von Wölfen auf Rinder in der Region Südschwarzwald von dieser Statistik ab.

Seit November 2021 wurden im Südschwarzwald wiederholt Übergriffe auf Jungrinder und ausgewachsene Rinder bestätigt, überwiegend durch einen in dieser Region residenten Wolf mit der Kennung GW1129m.

Seit dem ersten Übergriff auf ein Jungrind im November 2021 wurden in Baden-Württemberg insgesamt 10 Nachweise von Wölfen an Rindern bestätigt.

  • In 9 Fällen wurde ein Wolf als Verursacher der entstandenen Schäden bestätigt, in einem weiteren Fall konnte nicht abschließend nachgewiesen werden, dass der Wolf Verursacher war. Möglich ist auch eine andere Todesursache und die Nachnutzung des verstorbenen Tieres.
  • Insgesamt waren 13 Rinder betroffen, wovon 10 getötet bzw. tödlich verletzt wurden und 3 verletzt wurden, den Übergriff jedoch überlebten.
  • In allen Fällen handelte es sich um Rinder im Alter von über 2,5 Monaten; in 2 Fällen waren die betroffenen Rinder mehrere Jahre alt.

Es ist möglich, dass der Wolf GW1129m auch weiterhin Rinder ohne ausreichenden Schutz angreifen wird. Die meisten Übergriffe fanden auf weniger wehrhafte Jungviehherden ohne adulte (ausgewachsene) Tiere statt. Angrenzende Mutterkuhherden wurden in diesen Fällen nicht angegriffen.

Nachweise des Wolfes GW1129m sind rund um den Schluchsee zwischen Ühlingen-Birkendorf, Dachsberg (Südschwarzwald), Bernau im Schwarzwald, Titisee-Neustadt und Bräunlingen registriert worden.

Die Einschätzung des Risikos von Übergriffen von Wölfen auf Rinder entspricht im Rest Baden-Württembergs derzeit der bundesweiten Statistik.

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